Dabei bevorzuge ich das klassische Gygaxsche System mit den beiden Achsen Rechtschaffen - Neutral - Chaotisch und Gut - Neutral - Böse sowie den daraus resultierenden neun Kategorien. Gesinnungen verwende ich gerne insbesondere bei NSC zur Kurz-Charakterisierung (G: RB oder G: CB sagen mir schon eine Menge über eine Person).
Wichtig dabei ist, dass Gesinnungen für mich nur einen groben Handlungsleitfaden beschreiben - niemals sind sie so schematisch, dass sie Charaktere absolut berechenbar machen. Das gilt für Spielercharaktere wie für Nichtspielercharaktere: Insbesondere erlaube ich auch in extremen Situationen deutlich abweichend von der Gesinnung zu handeln, ohne große Diskussionen, Strafen oder sonst was zu verhängen. Ein Rechtschaffen/Guter Waldläufer, dessen Familie von Orks massakriert wurde, darf durchaus "ausrasten" und für einige Wochen auf einem blutigen Rachefeldzug in die Wälder verschwinden, um sich zu rächen. Wie es mit seiner Gesinnung weiter geht, hängt von den darauf folgenden Handlungen ab - und auch das ist reines Rollenspiel. Wird er vor Reue zerfließen und an seinen grauenvollen Taten zerbrechen? Dann gibt es keinen Grund, seine Gesinnung zu ändern. Verändert er sich und wir er zu einem eiskalten Jäger und Rächer? Dann mag es Gründe geben, dass er zukünftig eher Chaotisch/Böse durch die Welt wandert. Deswegen wird er aber weder Erfahrungspunkte verlieren noch andere Strafen erdulden - ganz im Gegenteil: Gutes Rollenspiel sollte belohnt werden.
Auch für Nichtspielercharaktere funktioniert dies für mich ganz wundervoll, um sie schnell in eine Schublade einzuordnen - für mich sehr wichtig, da meine Kampagnen immer von der Interaktion mit der Welt und den in ihr lebenden Personen gelebt haben.
Nehmen wir mal ein konkretes Beispiel: zwei Brüder aus einem reichen und mächtigen Handelshaus, beide Erben ihrer Dynastie. Beide kurz beschrieben als "Krieger 5, gierig, machtbesessen, dekadent". Tullius Brakus hat außerdem G: RB (also Gesinnung: Rechtschaffen/Böse), sein Bruder Mardus Brakus ist G: CB (also Chaotisch/Böse). Wie unterscheiden sich die beiden? Dabei nutze ich Gesinnungen analog zu anderen Attributen oder Eigenschaften wie sie heute ja auch in den meisten Indie-Spielen sehr beliebt und "total modern" sind:
- Tullius ist böse und geht sehr methodisch ans Werk. Er wird ein Netzwerk von Informanten, Spitzeln und Helfern unterhalten - insbesondere auch in höheren und einflussreichen Kreisen. Da er selbst keine magischen Talente besitzt, wird er sich geeignete Unterstützung suchen - aufgrund seiner methodischen und strukturierten Herangehensweise vermutlich durch eine böse Kirche, z.B. einen teufelsanbetenden Kult, mit dem er einige Ziele teilt. Er liebt grausame Duelle und unterhält eine geheime Arena, in der Gegner, denen er überdrüssig ist, nach einem formalen Regelwerk auf Leben und Tod kämpfen müssen. Tullius besitzt eine Vielzahl von Plänen und Strategien, die er beharrlich verfolgt, um zum alleinigen Oberhaupt seiner Dynastie zu werden.
- Mardus dagegen ist chaotisch und unorganisiert. Er sucht den schnellen Weg zur Macht. Auch er besitzt ein großes Netzwerk, allerdings ist es wesentlich weniger zielgerichtet aufgebaut als das seines Bruders - was gleichzeitig eine Stärke und eine Schwäche ist. Zwar fehlt ihm ein wenig der strategische Hebel, aber taktisch kann er viel besser reagieren, da seine Spitzel und Informanten von der einfachen Dirne bis zum debilen Ratsherren reichen und weniger miteinander vernetzt sind, wodurch Mardus auchweniger angreifbar wird, wenn mal was schiefgeht. Er sucht magische Unterstützung eher bei Hexern und Zauberern, bevorzugt Dämonenanbetern, die ebenso chaotisch und böse wie er sind - zumal diese so wunderbar grausame Orgien feiern können (Einschätzung Mardus - nicht meine ;-) ). Mardus ergreift jede Gelegenheit, die sich ihm bietet - was Vor- und Nachteil sein kann.
- Wären die beiden "Zwillinge" mit annähernd gleichen Attributen kann man davon ausgehe, das Tullius in einem Gewerbe wie dem Handel, das eher planvolles Vorgehen belohnt, der erfolgreichere sein wird. Damit hat er sich vermutlich Neid und Missgunst seines Bruders eingehandelt - vielleicht hat dieser aber auch gar kein Interesse daran, selbst Herrscher eine Dynastie zu werden, da dies sein Leben nur unnötig kompliziert und zu viele Pflichten mit sich bringt...
- Ist Mardus der Klügere von beiden, so könnte es einen interessanten Konflikt zu seinem Bruder geben, weil dieser allmählich daran zerbricht, dass er trotz all seiner schönen Pläne weniger schnell vorankommt als sein Bruder. Möglicherweise sucht er sein Heil im Teufelsglauben und ist ein düsterer Frömmler... vielleicht hockt er aber auch Nacht um Nacht über zahllosen Intrigen, um das Rennen um die Macht doch noch zu gewinnen. Mardus dagegen ist ein dekadenter Hedonist, der seine grausamen Feste feiert wie sie fallen und in dem gewonnenen Luxus schwelgt...
Und der konkrete "technische" Nutzen von Gesinnungen? Sie erlauben interessante Interaktionen mit Religionen ("Ich spüre eine Störung des himmlischen Friedens - nein, diese Person werden wir nicht wiedererwecken"), mit magischen Gegenständen ("das schwarze Runenschwert versetzt deinem Paladin einen magischen Schlag als er es berührt") und mit Kreaturen ("der madenbesetzte Dämon betrachtet deinen Dieb plötzlich mit einem beunruhigenden Wohlwollen, als dieser den ihm gegebenen Ring aufsetzt"). Dies könnte man jetzt beliebig fortspinnen... ein anderes Mal ;-)
Ich gebe zu, ich habe nicht den ganzen Text gelesen, möchte Dir aber auch nur eine kurze Anregung da lassen: Bei d20 modern gibt es das System der "allegiance". Da kann man ein beliebiges Schlüsselwort oder auch längere formulieren angeben, die als Leitbild für den Charakter dienen. Das kann sein "Gut", "Böse", "Chaos" aber auch "Freunde", "Ehrlichkeit", "Ärzte ohne Grenzen", "der König", "Die Bewohner von Blackrock Castle und deren Pferdezucht" und anderes. Der Fantasie sind keine grenzen gesetzt und Überschneidungen sind möglich oder gewollt. Mann kann so auch "Neutral" und "Gut" haben für "Neutral Good" oder eben nur "Gut" ohne Neutralität, weil man zwar an das Gute glaubt aber nicht um Ausgleich zwischen Recht und Chaos bemüht ist sondern einem das einfach nicht so wichtig ist, die Hauptsache ist, dass man gut ist.
AntwortenLöschenIch finde das System sehr viel flexibler und es gibt nicht die üblichen Inkonsistenzen und Konflikte wie bei den Gesinnungen. Du für Dich magst Gesinnungen wie oben beschrieben interpretieren und das kann auch ruhig recht konfliktfrei sein. Bedenke aber, dass Du ja ein Regelwerk für andere schreibst, die Dein Geschriebenes anders interpretieren und so diese Konflikte wieder in das System tragen.
Siehe meinen Text. Ich halte sehr viel von standardisierten und kompakten Charakterbeschreibungen, die mir insbesondere als Spielleiter alles Nötige an die Hand geben. Und ich finde es irgendwie lustig, dass die Idee, Dinge kurz und prägnant zu charakterisieren, in s vielen Systemen so viele Namen braucht... an "allegiance" aus d20 Modern hatte ich schon gar nicht mehr gedacht. Ich blogge dazu gleich noch mal was - das wird zu lang für einen Kommentar ;-)
AntwortenLöschenWunderschön den Sinn von Gesinnungen erklärt, ich hatte Tränen in den Augen... ;)
AntwortenLöschenFast genau meine Meinung, nur an der Stelle...
AntwortenLöschen"- außer bei bestimmten Klassen wie Paladinen oder Klerikern -"
...würde ich hinzufügen:
"und auch da eher über Glaubensgrundsätze als über Gesinnungen (auch wenn die beiden sich sicherlich überschneiden)."
@Ragnar: Zustimmung. Zumal sich die Glaubensgrundsätze ja aus der Gesinnung heraus ergeben müssen (Heiler, die leben achten... Befreier, die Tyrannen stürzen... Landgötter, die Dörfer beschützen... usw.).
AntwortenLöschenIch kann ja immer nur meckern: Glaubensgrundsätze aus der Gesinnung?! Da drehen sich mir erstmal die Zehennägel hoch. Na gut wenn man eine Religion NUR durch das Fachgebiet und die Gesinnung charakterisiert(Kurzschreibweise Analog zu NSC: "Kult des Ankorik, Heilergottheit, NG"), bleibt einem wohl nichts anderes übrig, aber wenn man eine Welt hat und sie in ein D&D-ähnliches System einpasst, sieht es wohl eher so aus: Gesinnung ergibt sich aus den Glaubensgrundsätzen, nicht anders herum.
AntwortenLöschen@ragnar: Ich glaube, ich muss mir viel präzisere Formulierungen angewöhnen... bin mal gespannt, wie das in den Regeln rüberkommt, wenn die endlich von Dritten gelesen werden ;-)
AntwortenLöschenAber zum Punkt: Als Spielleiter in neuen Kampagnen gehe ich wirklich sehr gerne so vor, dass ich NSC, Götter, usw. im Wesentlichen tatsächlich durch einen Namen, ihre Gesinnung und 1-3 Attribute kennzeichne, wenn ich die Kampagne oder Sitzung vorbereite. Das Beispiel zu Ankorik ist das sehr gut - und wenn die Charaktere dann im Spiel mit dem NSC, der Religion, usw. in näheren Kontakt kommen, improvisiere ich spontan die nächsten notwendigen Details.
Aber die Anwesenheit von Gesinnungen verhindert ja nicht, dass du z.B. Gottheiten und ihre Religionen wesentlich detaillierter vorbereitest - das ist ja mein Punkt. Über das Gesinnungssystem kann ich über das Kürzel "G: NG" bereits sehr viel über den prinzipiellen Glauben aussagen - die Details kann ich dann spontan improvisieren oder so detailliert vorbereiten, wie es mir gefällt. Ich habe aber eine extrem effiziente Möglichkeit, mit drei Buchstaben bereits eine weitreichende Tendenz festzulegen.
Der Rest ist dann ja eher persönlicher Geschmack - jeder so, wie es ihm am besten gefällt ;-)
Es gibt z.B. auch bei mir Momente, wo ich lieber auf Basis von Aria eine Kultur entwerfe als zu improvisieren... im Schnitt improvisiere ich persönlich aber lieber.